Ein nachgebauter „Handwieser“, wie solche Hinweisschilder in früher Zeit hießen, gibt die Entfernung vom „Flecken“ nach Köln mit 12 Siegerländer Meilen, nach Siegen mit 1,5 Meilen an. Manfred Flender hat ihn mit handwerklichem Geschick entstehen lassen.
Mit ihm wird bereits vor dem Freudenberger 4Fachwerk Museum deutlich, dass es bei der aktuellen Ausstellung um Verkehrsgeschichte geht. Auch die Silhouette eines alten Karrens, in der Region als Romp bezeichnet, kündet von der Präsentation „Historische Wege und Straßen“.
Anlass für die Arbeitsgruppe Stadtgeschichte des Museums, sich mit dem Thema zu beschäftigen, bot die Erwähnung des Hileweges vor 975 Jahren. In der Urkunde vom 28. April 1048 präzisiert Erzbischof Eberhard von Trier die Grenzen des Kirchsprengels Haiger und nutzt den Hileweg dabei als Linienbeschreibung. Jene überregionale Handels- und Heerverbindung zog sich im Süden von der Wetterau durch das Siegerländer Eisenrevier Richtung Essen an der Ruhr zum Westfälischen Hellweg. Im Freudenberger Raum verlief er von Plittershagen über Mausbach nach Hohenhain, dann gen Hühnerkamp und Römershagen.
In dieser Region stießen die drei Erzdiözesen Köln (Sauerland), Mainz (Siegerland) und Trier (Haiger/Dillenburg) aneinander, dokumentiert durch einen „Drei-Herren-Stein“. Später sind es die politischen Territorien Sayn-Altenkirchen, Chur-Köln und Nassau-Siegen, die hier einen Anknüpfungspunkt fanden. In unserer Zeit sind es die Kreise Altenkirchen, Olpe und Siegen-Wittgenstein.
Bernd Brandemann stellte am Eröffnungsabend der Ausstellung die Forschungsergebnisse des Geschichts-Arbeitskreises vor. Besucher haben nun die Möglichkeit an einem großen Bildschirm digital aufbereitet nachvollziehen zu können, welche Routen zu welchem Zeitpunkt durch Freudenberg genutzt wurden. „Wir haben neben dem Hileweg die Brüderstraße und die Koblenz-Mindener Chaussee in den Blick genommen.“
Hierfür wurde eigens eine Übersichts-Karte generiert, in die die einzelnen Straßenrouten sortiert nach Zeitverläufen „einfließen“, programmiert von Manfred Flender.
Hilweg und Brüderweg kreuzten sich in Hohenhain und machten den Ort zu einem wichtigen Verkehrsknotenpunkt. „Hohenhain war das Aachen des Mittelalters“, formulierte einst Denkmalpfleger Prof. Berthold Stötzel, der ebenso die Hohlwege als „Kulturnarben des Siegerlandes“ bezeichnete.
Das erste Wirtshaus entstand 1696 in Hohenhain, zwei weitere folgten 1770 und 1795 und ließen dem kleinen Ort große Bedeutung für die Fuhrleute zukommen. Einer alten Chronik zufolge hätten dort an die Hundert von ihnen in den drei Herbergen logiert. In dem Vortrag ging Brandemann auch auf die Lebens- und Reisebedingungen der Fuhrleute ein, zunächst „Kärrner“ genannt. Stötzel sieht in ihnen „Helden der Wirtschaftsgeschichte“, da sie erst den Handel der industriellen Produktion ermöglichten. Sie waren „Vertrauensleute“, da ihnen sowohl einerseits die Waren wie andererseits das dafür zu zahlende Entgelt anvertraut wurde.
Ein kleines handliches Buch zeigt in der Ausstellung, womit sich die Reisenden in früher Zeit informierten. Dem Museum ist es gelungen, eines der seltenen Exemplare des 1735 erschienenen Werkes „Jesus der getreueste Gefährte und Helfer zu Wasser und Lande“ zu erwerben, das theologisch Erbauliches enthält, aber auch Informationen zu Reisewegen, Entfernungen, Münz- und Gewichtsvergleichen wie die „nöthigsten Wörter und Redensarten in spanischer, französischer, italienischer, schwedischer, polnischer, ungarischer und türkischer Sprache“. Es enthält ebenfalls einen immerwährenden Kalender sowie Kartenmaterial.
Die in der Region so genannte Brüderstraße war Teil der „Brabanter Straße“, die Flandern im Westen mit Leipzig im Osten verband. Sie führte dabei geradlinig von Köln nach Siegen, wurde auch als Pilgerweg genutzt und verlief eben auch zuletzt durch den Ort Freudenberg: „Sie nahm den Weg über die Marktstraße, in der sich ebenso die Poststation und das Zollhaus befand.“
An der Brüderstraße lässt sich auch darstellen, wie politische Maßgaben ihren Verlauf in Freudenberg mehrfach veränderten. Zunächst führte sie von Wildenburg-Bahnhof über den Knippen zum Löffelberg, weiter über den Ischeroth zur Wilhelmshöhe. Danach änderte sich der Weg vom Knippen aus durch die Gambach, den Ohrndorfer Schlag in Richtung Anstoß wieder zur Wilhelmshöhe. Zuletzt, nach Entstehen der Burg Freudenberg verlief die Brüderstraße gemäß dem herrschaftlichen „Straßenzwang“ durch den Ort Freudenberg.
Als alte Heer- und Handelsstraße war die Brüderstraße ebenso Teil der „Via Regia“, der längsten und ältesten Landverbindung zwischen Ost- und Westeuropa. Der Europarat zeichnete die Strecke 2006 als Sinnbild für die Einigung Europas als eine seiner „Kulturrouten“ aus. Auch dazu werden im Museum Informationen angeboten. Insgesamt ist eine umfangreiche Begleitbroschüre zur Ausstellung kostenlos erhältlich.
Im 17. Jahrhundert zählte nach dem „Nürnberger Fahrplan“ übrigens Siegen zu den 24 bedeutendsten Handelsstädten, die Reise zwischen beiden Städten dauerte allerdings 52 Tage.
Zum Straßenbau gehört die vorherige Planung, die notwendiger Weise auf einer Kartierung aufsetzt. Dabei stießen die jüngsten Freudenberger Forschungen auf eine Überraschung. Den 1816 vorgelegten „Qkularplan über den Amtsbezirk Freudenberg“ zeichnete Johann Weygand Siebel (1780-1844), der im Nebengebäude des heutigen Museums im Alten Flecken lebte. Als 1807 dessen Sohn Johannes geboren wurde, lautete im Kirchenbuch seine Berufsbezeichnung als Vater noch „Schuhmacher“, 1830 wird er dort dann als „Geometer“ geführt. „Als ‚Landmesser‘ dürfte er eine größere Bedeutung besessen, da später sein Sohn Johannes (1807-1867) stets mit dem Namenzusatz ‚Geometers Sohn‘ geführt wird.“
Dass Straßen der Gewerbeförderung dienten, wird an der „Koblenz-Mindener Chaussee“ deutlich. Die Straße, die vom Löffelberg über Büschergrund nach Freudenberg und weiter nach Kirchen führte, entstand in den Jahren 1830/31. Sie sollte zunächst als privat finanziertes Bauprojekt errichtet werden, woran sich allerdings die Stadt Freudenberg nicht beteiligen wollte. Er als Militärstraße konnte sie umgesetzt werden. Später, 1906, bezeichnete sie der Freudenberger Chronist Sterzenbach als „schönste Straße der Stadt“, da an ihr zahlreiche Bürgerhäuser aber auch Industriebauten entstanden waren.
Die Ausstellung zeigt eine Vielzahl historischer Karten und Abbildungen sowie widmet sich den „Landmessern“ mit ihren frühen Gerätschaften. Sie ist bis zum 29. Oktober 2023 zu sehen und bietet ein umfangreiches Rahmenprogramm mit Wanderungen und Lesungen.
Das Museum ist mittwochs, Samstag und sonntags von 14:00 Uhr bis 17:00 Uhr geöffnet. Sonderführungen sind auf Anfrage möglich.
Am Wochenende nach der Ausstellungseröffnungen begann bereits mit zwei Wanderungen das Rahmenprogramm.
Mitglieder des Arbeitskreises Stadtgeschichte, die Ausstellung und Broschüre vorbereiteten, sind in alphabetischer Reihenfolge Bernd Brandemann, Heinz Fischbach, Manfred Flender, Richard Flender, Dr. Christoph Galle, Detlef Köppen, Klaus Siebel-Späth und Gottfried Theis.